Spionageabwehr schaltet sich in BND-Affäre ein
Nun interessiert sich auch der Verfassungsschutz für die Suchmerkmale der NSA, die vom BND aussortiert wurden. Spähte der US-Geheimdienst deutsche Bürger, Institutionen oder Firmen aus?
Von Uwe Müller, Florian Flade, Dirk Banse
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wird wegen der aktuellen Affäre beim Bundesnachrichtendienst (BND) aktiv. Die für Spionageabwehr zuständige Abteilung 4 der Kölner Behörde hat vom BND die Liste der vom US-Geheimdienst NSA beim BND eingeschleusten Suchbegriffe angefordert, wie die “Welt” aus Sicherheitskreisen erfuhr.
Geprüft werden soll, ob deutsche Bürger, Institutionen und Konzerne im Visier der NSA standen. Bislang hat der BND die Liste mit den sogenannten Selektoren nicht dem Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich etwa um IP- oder Mail-Adressen, die die NSA dem BND zur Datenabschöpfung übermittelte. Eigentlich soll dies dem Anti-Terror-Kampf dienen. Seit 2008 soll der BND rund 40.000 NSA-Suchmerkmale aussortiert und in der Liste gespeichert haben.
Die Abteilung 4 des Verfassungsschutzes, der dem Bundesinnenministerium von Thomas de Maizière (CDU) untersteht, ist im Inland für Spionageabwehr, Geheim-, Sabotage- und Wirtschaftsschutz zuständig. Der BND benötigt für die Weitergabe der Liste das Einverständnis des Kanzleramtes. Denn dieses hat die Dienst- und Fachaufsicht für den deutschen Auslandnachrichtendienst.
Ist eine Absprache mit den USA notwendig?
Im Streit um die Herausgabe lässt die Bundesregierung das Parlament unterdessen zappeln. Zunächst will die Regierung das Ende von Konsultationen mit den Amerikanern abwarten. Die SPD und die Opposition kritisierten es als unnötig, die USA vorher zu fragen.
Auch Generalbundesanwalt Harald Range will die Listen einsehen. Im Rechtsausschuss sagte Range nach Teilnehmerangaben, er habe dazu ein Erkenntnisersuchen ans Kanzleramt gestellt. Als möglicher Straftatbestand komme staatlich gelenkte Wirtschaftsspionage infrage.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die notwendigen Entscheidungen würden nach Abschluss der Konsultationen mit den amerikanischen Partnern getroffen. “Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das morgen ist, oder an einem anderen Tag.”
De Maizière fehlt noch “vollständiger Überblick”
Innenminister de Maizière (CDU) sagte kurz vor einem Auftritt im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags, die Regierung “im Ganzen” werde über die Freigabe der Listen entscheiden. Während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf die Konsultationen mit den USA verwies, hatte Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) gefordert, dass die Parlamentarier rasch Akteneinsicht nehmen können.
De Maizière war von 2005 bis 2009 Chef des Kanzleramts. Auf die Frage, ob er rückblickend etwas anders machen würde, sagte de Maizière, er habe die Unterlagen aus dieser Zeit noch nicht komplett gesichtet. Auch habe er keinen vollständigen Überblick über das, was im BND geschehen sei: “Ich kann die Frage zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten.”
Die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, wandte sich gegen ein Abwarten der Konsultation: “Es bedarf keines Okays der Amerikaner.” Der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, forderte die Regierung auf, den USA deutlich zu machen, dass die Einsicht in die Akten nicht “bis zum Sankt-Nimmerleinstag” hinausgezögert werden dürfe. Zudem müsse der BND nun sämtliche Selektoren überprüfen. “Da muss man grundsätzlich und systematisch ran.”
Die Grünen pochen auf Einsicht in viel mehr Daten. Er beantrage, dass die Regierung sämtliche NSA-Suchkriterien zur Verfügung stellt, sagte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele. Die Abgeordneten sollten die Möglichkeit haben, die vermutlich Millionen von Daten selbst digital zu durchforsten.
(mit dpa)