Tippen für Moskau: das Ehepaar Anschlag
Sie sind so etwas wie die Elite unter den russischen Spionen, die sogenannten “Illegalen” des russischen Auslandsgeheimdienstes Sluschba Wneschnei Raswedki (SWR). In Russland zu Agenten ausgebildet werden sie, meist über Drittstaaten, in ihre Zielländer eingeschleust. Dort leben sie viele Jahre lang unerkannt unter einer Legende. Nach außen geben sie eine bürgerliche Fassade, in Wahrheit gehen sie im Auftrag Moskaus auf die Jagd nach geheimen Informationen. Es ist der Stoff, der sich sogar für Drehbücher eignet, siehe die US-Serie “The Americans”.
Andreas und Heidrun Anschlag waren solche Jäger. Noch vor der Wiedervereinigung kamen sie nach Deutschland. Ihre Legende: in Südamerika geborene Österreicher. Andreas Anschlag (Deckname “Pit”) schrieb sich an der Technischen Universität in Aachen zum Maschinenbau-Studium ein, arbeitete später als Ingenieur bei einem Automobile-Zulieferer. Seine Frau Heidrun (Deckname “Tina”) war Hausfrau und kümmerte sich um die gemeinsame Tochter.
Am 18. Oktober 2011, mehr als 20 Jahre nach ihrer Einwanderung, stürmten Polizisten der Eliteeinheit GSG-9 das Haus der russischen Spione in Marburg-Michelstadt und die Zweitwohnung im baden-württembergischen Balingen. Der Bundeskriminalamt und die Spionageabwehr des Verfassungsschutzes waren durch einen Hinweis aus den Vereinigten Staaten auf das Ehepaar Anschlag aufmerksam geworden. Der Verdacht bestätigte sich schließlich.
Die Anschlags hatten einen europäischen Spionagering geführt, Quellen in Politik und Wirtschaft angeworben und waren so an geheime Dokumente aus Nato und EU gelangt. Übermittelt wurden die Informationen über tote Briefkästen, Kurzwellenfunk und kryptierte Kommentare unter Youtube-Videos.
Es dauerte über ein Jahr, bis dieser wohl spektakulärste russische Spionagefall in Deutschland seit der Wiedervereinigung vor dem Stuttgarter Oberlandesgricht verhandelt wurde. Das Urteil nach 28 Verhandlungstagen in der ersten Jahreshälfte 2013 lautete: fünfeinhalb Jahre Haft für Heidrun Anschlag, sechseinhalb Jahre für ihren Mann wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit.
Der Prozess lieferte einen seltenen Einblick in die Vorgehensweise der russischen Geheimdienste in Deutschland. Die Anschlags, so konnten die Ermittler rekontruieren, waren auf Seminaren und Fachtagungen zur Sicherheitspolitik auf die Suche nach Informanten gegangen. Im Haus der Russen-Spione stieß das BKA auf einen Laptop Marke “Sony Vaio”, darauf fand sich eine Liste von Veranstaltungen, die die russischen Spione im Laufe der Jahre besucht hatten. Darunter eine Konferenz der Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V. im August 2003 im pfälzischen Lambrecht, Thema: „Sicherheitsbegriff und Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert in Deutschland, Europa und der Welt“.
Während der dreitägigen Veranstaltung lernte Andreas Anschlag allerlei hochrangige Militärs und Spitzenbeamten kennen. Er führte Gespräche, sammelte Visitenkarten ein, notierte sich Namen, Telefonnummern, Werdegang. Für den russischen Spion kamen offenbar einige Gesprächspartner aus dem Seminar in Lambrecht als potenzielle Informanten in Frage. Das jedenfalls übermittelte er per Funkspruch an die Zentrale des SWR in Moskau.
Wie die Ermittler herausfanden war unter den Personen, die Anschlag als mögliche Quellen empfahl, auch ein Politikwissenschaftler, damals tätig als Referent im Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn. Der Name ist der Redaktion bekannt. Wir nennen ihn aber lediglich Z..
Der Mann, so übermittelte Anschlag nach Moskau, arbeite wohl für den Bundesnachrichtendienst (BND). Er habe über die Fälschungssicherheit von deutschen Personalausweisen und Reisepässen gesprochen, über Finanzermittlungen deutscher Behörden zur Terrorismus-Bekämpfung und über Haushaltsmittel für das Bundesinnenministerium.
Die Ermittler waren alarmiert. Ein BND-Mann war vom russischen Geheimdienst als Quelle ausgemacht worden? Man hatte ihn “getippt”, wie es in der Sprache der Nachrichtendienste heißt. Umgehend wurde der BND über diesen Sachverhalt informiert.
Dort sorgte der Hinweis für einige Verwunderung. Denn Z. war, als er Andreas Anschlag in der Pfalz getroffen hatte, kein Mitarbeiter des BND. Er hatte sich gerade erst beim Dienst beworben. Und war schließlich eingestellt worden. Von möglichen Kontakten von Z. nach Russland war dem BND bis dahin nichts bekannt geworden.
Dabei hatte Moskau zwei Jahre nachdem Anschlag den Deutschen “getippt” hatte, entschieden, Z. anzuwerben. Nach einer öffentlichen Veranstaltung in Bonn trat ein Mitarbeiter des russischen Generalkonsulats in Bonn an Z. heran. Er betreue die Hinterbliebenen der Flugzeugkollision von Überlingen, gab der Mann mit Namen “P.” an, und interessiere sich daher sehr für die Arbeit von Z. beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Man traf sich zum Mittagessen, telefonierte einige Male. Z. lud den Russen sogar zu einem Besuch in seine Behörde ein. Der soll aber nie stattgefunden haben.
Die Abteilung Spionageabwehr des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) konnte den russischen Konsulatsmitarbeiter “P.” identifzieren. Es handelte sich um in Wahrheit um den Residenten des Auslandsgeheimdienstes SWR in Bonn. Seine Kontaktaufnahme mit Z. war als Anwerbeversuch zu werten.
Der BND ging daher zur Maulwurfsjagd über. Gab es im Dienst einen russischen Doppelagenten? Mitarbeiter Z. wurde zum Fall für die Eigensicherung des Dienstes. Es folgten Observationen und schließlich sogar G-10-Maßnahmen. Telefonate,d ie Z. führte, wurden monatelang mitgehört, E-Mails und SMS mitgelesen. Doch es blieb erfolglos: Es gab nie einen Beweis, dass Z. wirklich für Moskau arbeitete.
Am 14. Juni 2012, neun Monate nach der Festnahme der Anschlags, vernahmen BKA-Beamte den BND-Mitarbeiter schließlich als Zeugen. Er soll angegeben haben, auf die russischen Kontaktaufnahmen nicht reagiert zu habe, und beteuerte, es sei zu keiner Zusammenarbeit gekommen. Der Fall wurde beim BND zu den Akten gelegt.
Jetzt aber steht Z. erneut im Fokus der Eigensicherung des deutschen Auslandsgeheimdienstes. Diesmal nicht wegen Spionageverdacht, sondern wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen. Wie wir recherchieren konnten, soll Z. im vergangenen Jahr vertrauliche Informationen über BND-Mitarbeiter an eine unbefugte Person verraten haten – den CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter. Wie es genau dazu kam, lesen Sie hier.