Schweizer Spion Daniel M. kommt vor Gericht
Eigentlich ist der Schweizer Geheimdienst, der Nachrichtendienst des Bundes (NDB), bei der Auswahl seiner Mitarbeiter klar. „Sie wollen im Mittelpunkt stehen? Was Sie bei der Arbeit tun, muss die ganze Welt wissen? Ohne Sie geht es einfach nicht? Leider können wir Ihnen auch hier nicht helfen”, heißt es in einer Werbebroschüre. „Sie möchten sich fühlen wie James Bond? Ihren Martini trinken Sie geschüttelt und nicht gerührt? Wir können Ihnen hier leider nicht helfen”. Draufgänger und Möchtegern-Agenten sucht man also explizit nicht.
Die Spione der Eidgenossenschaft ließen jedoch ganz offensichtlich nicht immer derartige Sorgfalt bei der Personalpolitik walten. Vor einigen Jahren setzten sie auf die Dienstes eines Mannes, der offenbar nicht sehr viel von Verschwiegenheit hielt. Und auch gerne über sich und seine angeblichen Fähigkeiten redete: Daniel M., 54 Jahre alt, Ex-Polizist aus Zürich. Beruf: Privatermittler.
„Wissen Sie, dem Schweizer Nachrichtendienst, dem hat man alle Zähne gezogen“, lästerte Daniel M. gegenüber einem deutschen Gesprächspartner bei einem konspirativen Treffen in einem Frankfurter Hotel. „Das ist ein lahmer Tiger, das ist eine Ministrantengruppe. Eben darum muss ich jetzt für den Staat hinausgehen.“ Dabei wirkte er fast schon selbst überrascht: „Eigentlich ist das erschütternd, dass die auf Privatleute zurückgreifen müssen.“
Ab dem 18. Oktober muss sich Daniel M. nun in Deutschland für sein „Hinausgehen“ verantworten. Die Bundesanwaltschaft hat den Schweizer wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main angeklagt: Daniel M. soll von 2011 bis 2012 im Auftrag des Schweizer Geheimdienstes NDB in Deutschland spioniert haben. Sein Auftrag: deutsche Steuerfahnder bespitzeln, die am Kauf von Steuer-CDs aus der Schweiz beteiligt waren.
Die Vorwürfe des Generalbundesanwalts wirken durchaus schwer. Der Fall Daniel M. aber kommt bei genauerer Betrachtung einer filmreifen Agentenposse gleich. In der WELT haben wir mehrfach über die kuriosen Hintergründe berichtet:
Daniel M. war am 28. April dieses Jahres in einem Hotel in Frankfurt am Main festgenommen worden. Seit Dezember 2016 lag in Deutschland ein Haftbefehl gegen den ehemaligen Polizisten vor.
In der Schweiz war Daniel M. bereits 2015 wegen Datenhehlerei ins Visier der Bundesanwaltschaft in Bern geraten. Er hatte angebliche Bankdaten an deutsche Auftraggeber verkauft, darunter auch angebliche Schwarzgeld-Konten eines Ex-BND-Chefs. Ein Dossier über die dubiosen Geschäfte samt heimlich mitgeschnittener Video- und Tonaufnahmen von Daniel M. landete schließlich bei dessen ehemaligem Arbeitgeber: der UBS. Die Bank wiederum erstattete Anzeige gegen den Züricher Privatdetektiv.
Lesen Sie hier die WELT-Artikel „Im Auftrag des lahmen Tigers“.
Nach seiner Verhaftung durch die Schweizer Polizei sagte Daniel M. aus, für den Schweizer Geheimdienst in Deutschland tätig gewesen zu sein. Er habe von den Schweizer Spionen den Auftrag erhalten, Informationen über jene Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen gesammelt zu haben, die Steuer-CDs von Schweizer Banken gekauft hatten. Aus Sicht der eidgenössischen Justiz war dies ein Akt der Spionage. Sie erließ daher Haftbefehle gegen drei nordrhein-westfälische Finanzbeamte.
In Deutschland wurden die Aktivitäten von Daniel M. wohl nur durch einen Zufallsfund bekannt: Werner Mauss, der häufiger im Auftrag des BND tätig war, soll bei der Beauftragung von Daniel M. zur Beschaffung von Bankdaten mitgewirkt haben. Mauss erhielt daher Akteneinsicht beim Schweizer Verfahren gegen M.. Die Unterlagen wiederum, inklusive der Aussagen von Daniel M. zu seinen Schnüffeleien in Deutschland, landeten bei der Staatsanwaltschaft in Bochum, die gegen Mauss wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt.
So verworren und komplex der Fall Daniel M. wirken mag: Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, dass der Schweizer in Deutschland als Spion aktiv war. In seinen früheren Vernehmungen bei der Polizei in Bern hatte M. bereits seine Auftraggeber vom Schweizer Geheimdienst namentlich identifiziert. Es soll sich demnach um Paul Z., Andi B., Thomas I., Marco L. handeln. Die Agenten hätten ihn mit einem Mobiltelefon plus Prepaid-SIM-Karte ausgestattet, teilte Daniel M. mit. Außerdem hätten sie ihn in der Kommunikation mit verschlüsselter Software auf einem Laptop geschult.
Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) hat auf Grundlage der Aussagen von Daniel M. für den Generalbundesanwalt bereits am 23. November 2016 ein Behördenzeugnis erstellt. Demnach handelt es sich bei Paul Z. tatsächlich um einen Schweizer Agenten, und zwar den damaligen stellvertretenden Leiter des NDB. Auch Marco L., ein ehemaliger Polizeibeamter, soll nach BND-Erkenntnissen für den Schweizer Dienst arbeiten.
Laut Anklage soll Daniel M. mit einem deutschen Geschäftspartner, einem Frankfurter Privatdetektiv, in Nordrhein-Westfalen nicht nur Informationen über Steuerfahnder beschafft, sondern auch eine Quelle in der Finanzverwaltung gewonnen haben. Die Person konnte allerdings bis heute nicht identifiziert werden.
Für die fehlenden Informationen zu den Steuerfahndern soll Daniel M. vom Schweizer Dienst rund 13.000 Euro Honorar erhalten haben. Noch einmal 60.000 Euro gab es angeblich für die Platzierung einer Quelle in der NRW-Finanzverwaltung. Außerdem soll Daniel M. etwa 3000 Euro als Monatspauschale bekommen haben.
Für Daniel M. werden indes nicht nur seine eigenen Aussagen zur Agententätigkeit gegenüber den Bernern Ermittlern zum Problem. In der Schweiz haben jüngst offizielle Stellen seine Tätigkeit für den Geheimdienst NDB bestätigt. Ueli Maurer, ehemaliger Verteidigungsminister der Schweiz, und damit auch Schirmherr des NDB, räumte ein, Kenntnis von den Auftragsarbeiten gehabt zu haben. “Ich habe vom Engagement von Daniel M. gewusst”, sagte Maurer im Mai. “Wir haben damals auch dem Gesamtbundesrat und der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments darüber Bericht erstattet”.
Auch die Schweizerische Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) lieferte eine Bestätigung für die Spitzeleien von Daniel M. – und spielte gleichzeitig dessen Rolle beziehungsweise die Mitwirkung des Schweizer Nachrichtendienstes bei der Jagd nach deutschen Steuerfahndern herunter.
„Eine erste Durchsicht der Akten zeigt, dass die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen des Verdachts auf wirtschaftlichen Nachrichtendienst gegen drei Beamte der deutschen Steuerbehörden ohne Beteiligung oder Mitwirkung des Nachrichtendienstes aufgenommen hatte“, heißt es in einer Mitteilung.
Was daraus nun folgt? Zwischen Deutschland und der Schweiz soll es künftig keine Spionageaktivitäten mehr geben: Berlin und Bern haben im Januar ein entsprechendes No-Spy-Abkommen unterzeichnet. Für Daniel M. dürfte das nur ein geringer Trost sein. Der Ex-Polizist und freischaffende Spion kommt trotzdem vor Gericht. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft.